Freitag, 26. Februar 2016

4. Das Presbyterium (2)

Gemeindeleitung (1)

Übersicht
4.1 Ohne Pfarrer - die Gemeide sind wir!
4.2 Das Presbyterium im Jahre 1993
4.3 Was im Jahre 1993 geschah
4.4 Aufgaben
4.5 Gemeindeleitung

4.1 Ohne Pfarrer - die Gemeinde sind wir!

Im Januar des Jahres 1993 kommt das Presbyterium der Johanneskirchengemeinde Leverkusen-Manfort zu seiner ersten Sitzung des Jahres zusammen - das erste Mal ohne Pfarrer Szyska, ohne seinen Vorsitzenden seit 31 Jahren. Der Superintendent Dr. Witschke hat Pfarrer Fritsche/Schlebusch beauftragt, als Pfarrer Mitglied des Presbyteriums in Manfort zu sein, bis ein neu gewählter Pfarrer diese Stelle einnehmen kann (Art. 115 Abs. 6 KO a.F.; Artikel 21 Abs. 5 KO). In dieser Sitzung stellt sich Pfarrer Fritsche als neues Mitglied des Presbyteriums vor und erklärt, er verstehe diesen Auftrag als Berater und werde bei streitigen Abstimmungen nicht die entscheidende Stimme abgeben.

Aus dem Presbyterium kommt nun die Forderung: „Jetzt muss der Superintendent einen Vikar oder Pfarrer bestellen, der hier die pfarramtlichen Aufgaben übernimmt!“ - Nach einiger Zeit finden wir zu der Erkenntnis: „Wir sind die Gemeinde. Wir müssen die Arbeit selbst übernehmen.“ Den meisten von uns ist dieser Gedanke unheimlich. In 31 Jahren hatte Pfarrer Szyska dem Presbyterium immer gesagt, was in der Gemeinde geschah, was wichtig war und was das Presbyterium entscheiden sollte. Und nun sollen wir das alles selbst in eigener Verantwortung tun? - Wie kommen wir nun zu diesem überraschenden Ergebnis? Die Presbyter sind sich einig, es muss etwas anders werden als bisher. Was aber und wie da anders werden sollte, wussten die meisten wohl nicht. Aber ein Grundverständnis ist den meisten von uns klar. Heute sage ich es mit einigen Sätzen von Martin Luther:

* Erstens ist es nötig, dass man weiß, wo und wer die christliche Gemeinde ist. Sonst treiben unter dem Namen einer christlichen Gemeinde Menschen ihr menschliches Geschäft.
* · ….. das kann niemand leugnen, dass jeder Christ Gottes Wort hat und von Gott gelehrt und zum Priester gesalbt ist. (Martin Luther „Dass eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, über alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein –und abzusetzen, aus der Schrift begründet und nachgewiesen“, 1523)

Im „Grundgesetz“ unserer Landeskirche, der Kirchenordnung (KO) heißt es ganz knapp: „Das Presbyterium leitet die Kirchengemeinde“ (Art. 15 Abs. 1 KO n. F.). Wir haben nicht in Büchern nachgeschlagen oder Gesetze gelesen, wir finden in Kenntnis dieser Sachverhalte von uns aus zu der Erkenntnis, dass wir selbst handeln können und dürfen.

4.2 Das Presbyterium im Jahre 1993

Es bestand aus 9 Personen, d. h. Pfarrer Fritsche und 8 PresbyterInnen, darunter einem Mitarbeiterpresbyter, das ist ein zum Mitglied des Presbyteriums gewählter Mitarbeiter. Das Presbyterium wählte zum ersten Mal einen Laien zum Vorsitzenden und Pfarrer Fritsche zum stellvertretenden Vorsitzenden. Wir wählten den Kirchmeister und einen weiteren Presbyter, der ihm zur Seite stand.

4.3 Was im Jahre 1993 geschah

Wie ging das Presbyterium mit den Aufgaben um, die sich ihm jetzt stellten? Zunächst verschafft es sich Ein– und Überblick, wie die Gemeinde strukturiert ist und wie sie arbeitet. Jeder kennt seinen eigenen Arbeits– und Wirkungsbereich, aber der Überblick und der Einblick in die der anderen fehlt oft. Die pfarramtlichen Aufgaben werden, soweit zulässig und möglich, von den beiden Predigthelfern wahrgenommen. Der Konfirmandenjahrgang wird von Pfarrer Szyska bis zur Konfirmation fortgeführt, Beerdigungen von Pfarrern benachbarter Kirchengemeinden übernommen. Im Zusammenhang mit der Renovierung des Pfarrhauses muss unter Wahrung bestehender Bausubstanz ein Standard erreicht werden, der die Wohnnutzung auch im kommenden Jahrtausend noch attraktiv macht. Der Westflügel des Gemeindezentrums wird umgebaut. Dort gibt es jetzt eine Behindertentoilette, eine gut ausgestattete Teeküche, einen Clubraum (ehemals Gemeindebücherei) sowie ein Pfarrbüro mit angemessen ausgestattetem Computerarbeitsplatz. In der Vakanzzeit hat die Gemeinde die Goldkonfirmation sowie das Gemeindefest ohne wesentliche Einschränkungen gefeiert. Zu all dem kommt nun die Vorbereitung und Durchführung der Wahl des neuen Pfarrers. Für einen Über– und Durchblick werden Unterlagen über die Struktur unserer Gemeinde, über die Gemeindearbeit und die wichtigsten Anforderungen an einen neuen Gemeindepfarrer zusammengestellt. Die Stelle wird neu ausgeschrieben. Auswahl der Bewerber, Vorstellungsgespräche, Probepredigten und schließlich die Wahl finden in der Pfarrvakanz statt. Dies ist ein erster Erfahrungsbericht über die Arbeit eines Presbyteriums.

4.4 Aufgaben

Was gehört nun grundsätzlich zu den Leitungsaufgaben eines Presbyteriums?

Zunächst trägt es die Gesamtverantwortung für die Erfüllung des kirchlichen Auftrages der Gemeinde (lautere Verkündigung des Wortes Gottes, rechte Verwaltung der Sakramente, Stärkung der Gemeindemitglieder für ein christliches Leben, Seelsorge, Diakonie, missionarischen Dienst, Förderung der Kirchenmusik, zur christlichen Erziehung und Bildung, Förderung des christlich-jüdischen Gesprächs und der ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen und Übernahme von Diensten im öffentlichen Leben, Art. 1 KO). In Erfüllung dieses Auftrags entscheidet das Presbyterium über

· Die Gesamtkonzeption gemeindlicher Arbeit
· Ort, Ziel, Zeit und Zahl der Gottesdienste
· Ausstattung der gottesdienstlichen Räume
· Mehrzahl der Kollektenzwecke
· Zulassung zur Konfirmation
· Mitgliedschaftsrechte
· Pfarrstellenbesetzung
· Errichtung von Stellen für Mitarbeiter
· Festsetzung des Haushaltsplans, der Jahresrechnung und über die Verwaltung des Vermögens
· Gemeindesatzungen (Art. 16 KO)

Käme jetzt jemand zu Ihnen und bäte Sie, das Ehrenamt eines Presbyters oder einer Presbyterin zu übernehmen, wie würden Sie dann entscheiden? „Das kann ich nicht,“ „Ich habe doch keine Ahnung von dem allen!“, „Ist in der Gemeinde nicht jemand, der mehr geeignet ist als ich?“ - Nach meiner Erfahrung würde so oder ähnlich Ihre Antwort lauten. Es sei denn, Sie haben für ein Ehrenamt in der Kirche keine Zeit - neben all Ihren anderen Verpflichtungen.

Sie dürften mit alldem recht haben. Aber was geschieht dann mit unserer Gemeinde, mit unserer Kirche?

Wie schrieb Martin Luther? „Es ist nötig, dass man weiß, wo und wer die christliche Gemeinde ist. Sonst treiben Menschen unter dem Namen einer christlichen Gemeinde ihr menschliches Geschäft.“ Das gilt auch für die Mitglieder des Presbyteriums, wenn dieses Amt nicht von engagierten Gemeindemitgliedern übernommen wird.

Es gibt zwei Erfahrungen, die Ihnen helfen können. Sie sind nicht allein. Das Presbyterium trägt als Ganzes die Verantwortung. Wenn Sie erkennen, worum es grundsätzlich bei einer Entscheidung geht, dann können Sie sich im Zweifelsfall der Entscheidung derer anschließen, die in diesem Fall mehr Übersicht und Sachkenntnis haben als Sie. Zum andern haben alle Presbyterinnen und Presbyter bisher die Erfahrung gemacht, dass sie in der Zeit ihrer Zugehörigkeit zum Presbyterium viel Neues kennen gelernt und Erfahrungen gesammelt haben. Sie haben daraus gelernt und sind in ihrem Urteil sicherer geworden.

Außerdem kann das Presbyterium einen Gemeindebeirat wählen (Art. 34 KO). Damit gewinnt es einen Beraterkreis aus erfahrenen Gemeindegliedern, der unabhängig von den am Verfahren Beteiligten Ratschläge erteilen und Vorschläge unterbreiten kann. Notfalls kann er auch vermitteln. Es liegt am Presbyterium, sich diese Möglichkeiten frühzeitig zu verschaffen.

Ich muss zugeben, dass die Presbyterinnen und Presbyter, die im Jahre 2004 ihr Amt übernahmen, von ihrer Kirche und auch persönlich von vielen ihrer Mitchristen zutiefst enttäuscht und in Teilen im Stich gelassen wurden. Viele wurden auch persönlich durch das Verhalten einzelner sehr verletzt. Darüber spreche ich später noch - auch einer solchen traurigen Erfahrung kann man in Teilen vorbeugen.

4.5 Gemeindeleitung

Worin besteht nun die besondere Aufgabe des Presbyteriums in seiner Leitungsfunktion?

Leitungsverantwortung

Leitung verlangt immer Übersicht und Weitsicht. Sie muss in der Lage sein, Ziele zu erkennen, zu beschreiben und zu einem Ganzen zusammenzuführen - nicht zuletzt, dies alles dann nach innen und außen überzeugend zu vermitteln.

Leitung verlangt darüber hinaus, realistische Wege aufzuzeigen, wie diese Ziele erreicht werden können.

Schließlich verlangt Leitung die Umsetzung all dessen in konkretes Handeln.

Diese Anforderungen an die Leitungsfunktion finden wir überall in den menschlichen Gesellschaften. Bei uns in Deutschland wird das besonders deutlich in der Politik und in der Wirtschaft - und das auf allen Ebenen.

In der Kirchengemeinde muss all dies in der doppelten Verantwortung vor Gott und in der Welt geschehen. Hier liegt oft der zentrale Schnittpunkt, an dem viele Gemeindemitglieder als Presbyter nicht mehr weiterkommen. Sie möchten gerne das Liebesgebot Gottes erfüllen - im Einzelfall vielleicht sogar das der Feindeliebe. Das aber, was Kirche in der Welt zugemutet wird, ja selbst das, was sie sich selbst im Umgang mit ihren Mitglieder zumutet - das können sie nicht nachvollziehen. Sie haben damit recht. Es handelt sich um einen Zwiespalt, der nicht restlos aufzulösen ist Der Mensch ist Gottes Ebenbild (1. Mose 1,27), aber nicht Gott selbst (1. Mose 3,22 und 23). Er ist ein unvollkommenes Wesen – und unvollkommen sein Tun. Unvollkommen ist deshalb auch die Kirche. Also muss man sich auf diese Unvollkommenheit einlassen - aber in einem Maße, das wir selbst in christlicher Verantwortung bestimmen. Das geschieht bei jedem auf andere Weise. In der Gemeinschaft eines Leitungsorgans muss man einen Grundkonsens finden, auf dem die Entscheidung im Alltag Bestand hat.

„Lassen Sie das mal meine Sache sein. Die Verantwortung trage ich!“ – Kennen Sie solche oder ähnliche Aussprüche? Gelegentlich habe ich den Eindruck, oft wissen diese Menschen nicht, wovon sie reden. Verantwortung zu tragen bedeutet, die wesentlichen Tatsachen zu kennen, insbesondere über Missstände und Fehlentwicklungen rechtzeitig informiert zu sein. Es gehört dazu, Entscheidungen zu treffen und diese sachgerecht und für andere nachvollziehbar zu begründen. Ganz wichtig ist, Fehlentscheidungen als solche zu erkennen, nach Möglichkeit zu korrigieren und vor allem, in Zukunft zu vermeiden. Verantwortung zu tragen heißt nicht, bei schweren Fehlern davonzulaufen, sondern die Folgen selbst zu tragen. Im äußersten Fall kann das bedeuten von einem Amt zurückzutreten.

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